Welchen Schaden „Save the Cat“ angerichtet hat

Liebe Fan-Gemeinde von Vienna-Filmcoach!

Leider müssen wir euch an dieser Stelle die traurige Mitteilung machen, dass Ip Wischin am 18.11.2023 völlig unerwartet verstorben ist.
Ein Nachruf auf unseren lieben Lehrer, Coach und Freund ist in Arbeit.
Bis dahin Kopf hoch und – ganz in seinem Sinn – möge die Macht mit euch sein!

Marc Miletich, 1. Padavan von Ip

 

Angefangen hat es aus meiner Sicht mit den Lehrbüchern von Syd Field und seinen Verallgemeinerungen bezüglich der Struktur von Drehbüchern. Als ich ein Filmstudent – grün hinter den Ohren – war, studierte ich seine Bücher und hielt mich beim Verfassen meiner eigenen ersten Drehbücher an die Anweisungen darin. Erst viel später wurde mir klar, dass die Qualität eines Films nicht darin besteht, dass er eine bestimmte Struktur einhält. Einen guten Film kann man nicht einfach erschaffen, indem man ein „Suppenrezept“ nachkocht. Die Qualität eines Films hängt von der Frage ab, ob es gelingt, magische Momente zu kreieren, ob die Handlung zu diesen magischen Momenten hinführt und sie so aneinanderfügt, dass sie sich tief in das Gedächtnis des Zuschauers eingraben. Wer die Bücher von Syd Field nicht gelesen hat, wird nicht wissen was ich meine, wenn ich seinen Ansatz kritisiere. Syd Field empfiehlt seinen Lesern, ihre Drehbücher in drei Akte einzuteilen, wobei der erste Akt die Geschichte etabliert, die Krise sich im zweiten Akt steigert, bis es im dritten Akt zu einer Lösung kommt. Dieser Lehre zufolge sollte ein Drehbuch 120 Seiten lang sein und beispielsweise der Plotpoint, der in den zweiten Akt führt, sollte unmittelbar vor Seite 30 stattfinden. Ist derlei wirklich die Voraussetzung für einen guten Film?

 

Aber es kommt noch schlimmer: nicht nur, dass uns die Lehrbücher in ein strukturelles Korsett spannen wollen, sie wollen auch, dass wir es mit Gemeinplätzen bevölkern – sogenannten Tropen, die sich immer wieder bewährt haben. Daher der Titel des unsäglichen Buches „Save the Cat“ von Blake Snyder, da er uns empfiehlt, einen Protagonisten sympathisch zu machen, indem dieser am Anfang des Films eine Katze rettet (oder eine vergleichbar rührende Tat vollbringt). Das Problem mit den Lehrbüchern ist immer dasselbe, sie wollen partout aus allem ein „Suppenrezept“ machen. Man vergleiche etwa das Buch „Der Heros in 1000 Gestalten“ von Joseph W. Campbell mit „Die Odyssee des Drehbuchschreibers“ von Christopher Vogler. Ersteres ist eine Bestandsaufnahme der Gemeinsamkeiten von Heldensagen quer durch die Geschichte und Kulturen, während Letzteres eine Anleitung ist, fixe Archetypen in eine vorgegebene Stationendramaturgie zu stellen. Nun sind viele Kreative in der Filmindustrie durchaus mit genug Fantasie begabt, sich durch solche Vorgaben nicht einengen zu lassen. Das Problem ist aber, dass auch die fantasielosen Bosse hinter ihren Schreibtischen die populären Lehrbücher kennen und den künftigen Erfolg eines Projekts – in das ja schließlich Millionen von Dollar investiert werden müssen – danach beurteilen, ob es auf einem Konzept beruht, das sich an die Konventionen hält. Der Schaden: ein Einheitsbrei aus immer neu aufgewärmten Franchises nach vorhersehbaren Formeln mit langweiligen, sinnleeren Superhelden und konstruierten Gimmicks.

 

Der Vorteil, den unabhängige Filmemacher haben, ist der, dass sie nicht nur mangelndes Budget durch Erfindungskraft kompensieren müssen, sondern auch, dass sie formal frei agieren können. Das erste was sie machen sollten, ist, gewisse Lehrbücher aus dem Fenster zu werfen. Für einen Filmemacher etwa wie Werner Herzog ist der Gedanke einer Filmschule absolut abwegig. Für ihn ist es in erster Linie wichtig, die richtigen Guerillataktiken zu beherrschen, um sich Zugang zu Schauplätzen und Ressourcen zu verschaffen. Gibt es tatsächlich sonst nichts, was man lernen kann, wenn man ein erfolgreicher Filmemacher werden will?

 

Die Antwort lautet: doch! Und zwar muss man verstehen lernen, wie ein Film – der ja eine Art Zeichensprache darstellt – beim Zuseher ankommt. Was man also durchaus lernen kann, ist die allgemeine Wahrnehmungspsychologie. Wie pflanze ich einen bestimmten Gedanken in den Kopf des Zuschauers oder ein bestimmtes Gefühl in seinen Bauch? Wenn ich mich nur an bewährte Erzählmuster halte, sozusagen nach dem Motto »das hat schon einmal funktioniert«, so übersehe ich, dass sich die Erwartungshaltung beim Publikum inzwischen geändert hat. Was früher tiefen Eindruck hinterließ, ist nunmehr zum Klischee verkommen. Daher geht es nicht darum, die Storytelling-Karten einfach nur neu zu mischen, man muss alles erneuern, sowohl vor der Kamera als auch am Schnittcomputer - und davor jedenfalls beim Schreiben des Drehbuchs. Die einzige Konstante ist die kollektive Wahrnehmungspsychologie, sodass man sich in erzählerisches Neuland begeben kann, ohne sich vollkommen blind voranzutasten. Den Zuschauer zu spielen wie ein Instrument erfordert nicht nur die Kenntnis des Instrumentes sondern auch permanentes Üben – eben wie bei einem Musikinstrument. Oder, wenn der Vergleich gestattet ist, Film ist wie eine Sprache, die man beherrschen muss, bevor man sich darin ausdrücken kann.

 

In meinen Workshops bemühe ich mich daher, genau diesen Ansatz zu vermitteln, indem wir vergleichen, was sich ein Filmemacher bei einer bestimmten Szene vorgenommen hat, und mit welchen Mitteln er dieses Ziel erreicht hat. Dann machen wir interaktive Übungen, damit man lernt, sich filmisches Denken anzugewöhnen. Es gibt vieles, was man beim Filmschauen erst bemerkt, wenn man einen Begriff dafür gefunden hat. Darum glaube ich, dass man mit einigen grundsätzlichen Dingen vertraut sein sollte, um ewige Anfängerfehler zu vermeiden: Semiotik, Bildgestaltung, Charaktergestaltung, szenische „Aggregatszustände“, Regeln für Dialog, Empathie, Humor, Konfliktanalyse usw. – Wer sich für diesen Ansatz interessiert, den lade ich zum kostenlosen Online-Schnupperkurs am 11. Jänner ein. Einfach hier klicken!

 

Somit bleibt mir nur, euch ein erfolgreiches 2022 zu wünschen und möge es euch gelingen, den Film zu machen, den ihr schon immer sehen wolltet.

 

Euer Vienna Filmcoach

Ip Wischin

Foto: (c) Pinguino Kolb